Sie haben es gehört: Die vorliegende parlamentarische Initiative fordert, dass ein Gremium geschaffen wird, um während Abstimmungskampagnen gemachte zweifelhafte Aussagen zu beurteilen, also eine Art Qualitätskontrolle in der öffentlichen Auseinandersetzung. Ihre Staatspolitische Kommission [PAGE 953] beantragt Ihnen mit 16 zu 8 Stimmen, dieser parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben.
Das Anliegen ist nicht neu, wir haben es gehört. Die Staatspolitische Kommission arbeitete bereits vor mehr als zwanzig Jahren eine Vorlage für die Schaffung einer Anrufinstanz bei Abstimmungskampagnen aus. Der Nationalrat trat am 5.[NB]Juni 2002 – ich persönlich war da ganz knapp noch nicht dabei – mit 86 zu 65 Stimmen jedoch nicht auf diese Vorlage ein. Damals argumentierten die Ratsmehrheit und der Bundesrat mit fehlender Praktikabilität. Denn damit die Stellungnahme dieser Anrufinstanz zu bestrittenen Aussagen rechtzeitig vor der Abstimmung publiziert werden könnte, müsste das Gremium sehr schnell arbeiten. Der Zeit- und Personalaufwand wird als erheblich eingeschätzt, wenn die Stellungnahmen seriös und aktuell sein sollen, insbesondere weil die Beurteilung des Wahrheitsgehalts von Aussagen nicht immer einfach sein dürfte. Die Gefahr ist somit gross, dass ein wirkungsloses Gremium geschaffen würde.
Darüber hinaus besteht aber auch die Gefahr, dass ein solches Gremium sogar kontraproduktiv wäre, da unlautere Aussagen durch die Stellungnahme eines öffentlichen Gremiums eben noch mehr Gewicht erhalten. Sie kennen das Phänomen, das auch als Streisand-Effekt bekannt ist. Das Gremium als solches könnte natürlich sofort infrage gestellt werden und kaum verhindern, in den Strudel der politischen Auseinandersetzung gezogen zu werden; ich sage dann noch kurz etwas dazu.
Ihre Staatspolitische Kommission schliesst sich der damaligen Argumentation an und führt sie fort. Der zeitliche Aspekt wird nach wie vor kritisch beurteilt. Stellen Sie sich vor, dass jemand beispielsweise zehn Tage vor dem Abstimmungstermin die Behauptung einer Lüge in den Raum stellt: Eine seriöse Prüfung wäre dann kaum mehr möglich. Eine Beurteilung erst nach dem Abstimmungstermin würde dem Anliegen nicht gerecht werden. Die Kommissionsmehrheit bezweifelt auch, dass eine disziplinierende Wirkung für spätere Abstimmungskämpfe erfolgen würde, und hält das fehlende Rechtsmittelverfahren für ebenso problematisch.
Dass also ein Gremium endgültig entscheiden könnte, was im politischen Diskurs lauter ist und was nicht, würde zu einigen Problemen führen. Schon vor zwanzig Jahren wurde im Rat betont, dass sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht so leicht in die Irre führen lassen. Es liegt vor allem auch am politischen Gegner und an den Medien, Falschaussagen zu korrigieren. Die bereits damals angeführten Gegenargumente erhalten mit der Entwicklung von Social Media noch mehr Gewicht.
Ein Gremium zur Prüfung von Falschaussagen in Abstimmungskämpfen müsste wohl eine Vielzahl beanstandeter Aussagen überprüfen, sodass dies kaum in nützlicher Frist möglich wäre. Weiter besteht bezüglich der sogenannten Fake News eben häufig das Problem, dass diese gar nicht zuordenbar sind. Wo entstanden sie? Wenn man eine Lauterkeitsprüfung irgendwelcher Aussagen durchführen will, dann muss man auch wissen, wo die Aussage entstanden ist und wer allfällige Fake News zuerst ins Netz gebracht hat. Neben den praktischen wurden in der Kommission also auch ganz grundsätzliche Vorbehalte diskutiert.
Die Kommission ist sich einig, dass es bezüglich der Lauterkeit Grenzüberschreitungen gibt, nämlich dann, wenn in krasser Weise eindeutig faktenwidrig oder verleumderisch argumentiert wird. Die Frage, wo dann im Einzelfall konkret die Grenze zu ziehen wäre, ist aber nicht trivial. Das Beispiel, das Kollege Tuena gebracht hat, könnte tatsächlich von einer Kommission beanstandet werden. Ich nehme aber an, dass dann die Gegner einfach sagen würden, dass das eine Umsetzungsfrage sei – in der Politik ist das eben häufig so.
Es gibt einen Unterschied zwischen Lauterkeit bezüglich der Werbung für ein Haarshampoo und der Lauterkeit in einer politischen Aussage; so hat es ein Kommissionsmitglied formuliert. Wie sich ein Sachverhalt konkret entwickelt, vor allem wenn es zum Beispiel um Kosten oder Einsparungen geht, weiss man eben häufig erst im Nachhinein. Das neu geschaffene Gremium zur Überprüfung der Lauterkeit würde also vor der Herausforderung stehen, entweder wirklich nur die ganz offensichtlichen Fehler festzustellen, über die ohnehin Konsens herrscht und deren Überprüfung dann auch nicht notwendig wäre, oder es würde eben auch umstrittene Entscheidungen treffen, und dann wäre es ein politisches Gremium, von denen wir genügend haben.
Folgen Sie deshalb der Kommissionsmehrheit und geben Sie der parlamentarischen Initiative keine Folge.