Im Schweizer Finanzmarkt spielt wie weltweit üblich international ausgearbeitetes Soft Law eine zentrale Rolle. Dieses wird in Behördennetzwerken ausgearbeitet, in denen Zentralbanken bzw. Finanzmarktaufsichtbehörden zusammenarbeiten und internationale Standards setzen. So ist die schweizerische Finanzmarktaufsicht FINMA in verschiedenen internationalen Gremien vertreten. In diesen Gremien wird internationales Soft Law im Bereich Finanzmarktregulierung mit Spillover-Effekt auf nationaler Ebene entwickelt.
Dieses Soft Law in Form von (Mindest-)Standards hat zwar keine Bindungswirkung, muss aber von der FINMA bei ihrer Regulierungstätigkeit berücksichtigt werden. Aktuelle Beispiele aus der Regulierungstätigkeit der FINMA bezeugen die Einhaltung dieses Grundsatzes:
- Geplantes Rundschreiben Naturbezogene Finanzrisiken (Rundschreiben basiert u.a. auf Soft Law des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht)
- Totalrevision Rundschreiben 13/5 Liquidität – Versicherer (Revision erfolgt u.a. im Hinblick auf Soft Law der internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden)
Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass die Beachtung internationaler (Mindest-)Standards unweigerlich zu Zielkonflikten mit den weiteren schweizerischen Regulierungsgrundsätzen führt.
Vor diesem Hintergrund ist der Bundesrat gebeten, folgende Fragen zu beantworten:
1. Wie gewährleistet die FINMA, dass neben internationalen (Mindest-)Standards das Primat der schweizerischen Regulierungsgrundsätze (wie z.B. Prinzipienbasiertheit, Kostenfolge) gewährleistet bleibt? Nutzt die FINMA bei ihrer Regulierungstätigkeit Spielräume für nationale Lösungen genügend aus?
2. Wird dem auf Wettbewerbsfähigkeit abzielenden Regulierungsgrundsatz von der FINMA ausreichend Rechnung getragen? Hintergrund dieser Frage ist der drastische Bedeutungsverlust des Finanzplatzes Schweiz: Im Global Financial Centres Index ist Zürich vom 5. Platz (2007) auf aktuell den 17. Platz der weltweit bedeutendsten Finanzplätze abgerutscht. Wie erklärt sich der Bundesrat diese bedauerliche Entwicklung?
3. Grundsätzlich sollte das Parlament/Volk mittels Referendums das letzte Wort haben, wenn sich die Schweiz mit einer Soft-Law-Vereinbarung politisch unter Zugzwang setzt. Wie beurteilt der Bundesrat das Spannungsverhältnis zwischen Regulierung und dem Grundsatz der direkten Demokratie?
Antwort des Bundesrates:
1. Die FINMA reguliert gemäss Artikel 7 Absatz 2 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes (FINMAG; SR 956.1) nur, soweit dies mit Blick auf die Aufsichtsziele nötig ist, sowie wenn immer möglich prinzipienbasiert. Dabei muss sie das übergeordnete Bundesrecht sowie insbesondere die Kosten für die Beaufsichtigten, die Auswirkungen auf den Wettbewerb, die Innovationsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz, die unterschiedlichen Grössen, Komplexitäten, Strukturen, Geschäftstätigkeiten und Risiken der Beaufsichtigten sowie die internationalen Mindeststandards berücksichtigen.
Die FINMA wägt dabei auch zwischen Prinzipienbasiertheit und für die Beaufsichtigten notwendiger Klarheit ab. Die Regulierungstätigkeit der FINMA erfolgt zudem unter Einbezug der Betroffenen, von mitinteressierten Verwaltungseinheiten sowie nach Konsultation der Öffentlichkeit (Art. 7 Abs. 4 FINMAG und Art. 10 der Verordnung des Bundesrates zum Finanzmarktaufsichtsgesetz FINMAV; SR 956.11).
2. Die FINMA ist gesetzlich verpflichtet, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes bei ihrer Regulierungstätigkeit zu berücksichtigen (Art. 7 Abs. 2 Bst. B FINMAG). Die Bedeutung eines Finanzplatzes wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst und kann anhand zahlreicher unterschiedlicher Kriterien und Indizes gemessen werden.
3. Die Schweiz ist Mitglied in den relevanten internationalen Gremien im Finanzmarktbereich und vertritt ihre Interessen bei der Ausarbeitung von internationalen Standards. Vertritt die FINMA die Schweiz in internationalen Gremien, hat die Festlegung der Grundzüge der Positionierung im Einvernehmen mit dem EFD zu erfolgen (Artikel 3 Absatz 2 FINMAV).
Das EFD informiert die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen regelmässig, frühzeitig und umfassend über wichtige aussenpolitische Entwicklungen (Artikel 152 Absatz 2 Parlamentsgesetz; ParlG; SR 171.10). Wenn infolge der Umsetzung von Empfehlungen oder Beschlüssen internationaler Organisationen oder multilateraler Gremien der Erlass oder eine wesentliche Änderung eines Bundesgesetzes erforderlich ist, gemäss Artikel 5b der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV; SR 172.010.1) oder infolge anderer wesentlicher Vorhaben gemäss Artikel 152 Absatz 3 ParlG und den Weisungen für dessen Umsetzung (BBl 2024 3067), so sind die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen zu konsultieren.
Eine allfällige Überführung von internationalen Standards im Finanzbereich in nationales Recht erfolgt über die ordentlichen Rechtsetzungs- und Regulierungsprozesse mit den entsprechenden demokratischen Mitspracherechten. Die unter (1.) dargelegten Rechtsgrundlagen und Prozesse sollen bei der Regulierungstätigkeit der FINMA sicherstellen, dass die verschiedenen, vom übergeordneten nationalen Recht vorgegebenen materiellen Elemente und Regulierungsgrundsätze sowie die Stellungnahmen in den Konsultationen ausreichend berücksichtigt werden.