Gemäss neuester Obsan-Umfrage (erläuternder Bericht zur Vernehmlassungsvorlage Bagatellfallgebühr vom 15.8.2024) gaben mehr als ein Drittel der Patientinnen und Patienten an, die einen Notfall in Anspruch genommen haben, ihr Fall hätte auch von ihrem Hausarzt behandelt werden können – wäre dieser verfügbar gewesen. Das Kantonsspital Baden geht davon aus, dass 4 von 5 Kindernotfälle unter Bagatellfälle fallen (az-Artikel vom 27.12.2022).
2022 wurden in den Notfallstationen der Spitäler rund 2,25 Mio. ambulante Eintritte gezählt (inkl. medizinische Notfälle nach UVG und Personen, die mehrmals in den Notfall gehen). Am häufigsten wird der Notfall von Kindern unter 6 Jahren und jungen Erwachsenen frequentiert. Die Gesamtkosten der Notfälle werden auf rund 1 Mia Franken beziffert. Bei einem Drittel unnötiger Konsultationen muss also von unnötigen Kosten in tiefer dreistelliger Millionenhöhe ausgegangen werden (ein Teil der Kosten würde nicht anfallen, weil gar keine Behandlung nötig wäre, ein Teil der Kosten würde deutlich tiefer ausfallen bei regulärem Hausarztbesuch):
1. Teilt der Bundesrat die Meinung, dass schweizweit etwa 30% der Notfallkonsultationen vermieden werden könnten? Falls ja: warum? Falls nein: warum nicht?
2. Wie sollte in der KVG Revision die Gesetzgebung aus Sicht des Bundesrates geändert werden, um unnötige Notfallkonsultationen wirksam zu verhindern?
3. Stimmt der Bundesrat der Aussage zu, dass durch Verhinderung von Bagatellnotfällen ein Kosteneinsparpotential in allenfalls bis zu dreistelliger Millionenhöhe vorliegt?
a. Falls ja: Warum ist das so und welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden?
b. Falls nein: Warum ist es in Ordnung, dass ein Drittel der Patientinnen und Patienten angibt, für ihre Notfallbehandlung hätte auch ein regulärer Hausarztbesuch gereicht?
c. Mit welchem finanziellen Einsparpotential wäre aus Sicht des Bundesrates bei rund 700’000 unnötigen Notfallkonsultationen minimal/maximal zu rechnen? Auf welche Fakten stützt sich der Bundesrat dabei ab?
d. Kann mit der aktuellen Vernehmlassungsvorlage 17.480 zur Pa.Iv (Weibel) Bäumle das Sparpotential gemäss 3c ausgeschöpft werden?
4. Wäre eine Verfassungsänderung zur Einführung einer Lenkungsgebühr bei Bagatellfällen auf Notfallstationen angesichts des vorhandenen finanziellen Sparpotentials nötig und verhältnismässig? Falls ja: Warum? Falls nein: Warum nicht?
Antwort des Bundesrates:
1. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass ein guter und niederschwelliger Zugang der Bevölkerung zu Angeboten der medizinischen Grundversorgung die Anzahl von leichten Fällen in der Spitalnotaufnahme reduzieren kann. Die Ausgestaltung der Versorgungsstrukturen liegt indes in der Verantwortung der Kantone. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Kantone alle notwendigen Massnahmen ergreifen, um eine effiziente und kostengünstige Versorgungsstruktur für medizinische Notfälle sicherzustellen. Für detaillierte Zahlen zur Nutzung der Notfalldienste und zu den Unterschieden zwischen den Kantonen verweist der Bundesrat auf das Dossier 64 «Inanspruchnahme von Notfalldiensten» des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Weitere Aufträge zur Erhebung von Statistiken hat der Bundesrat nicht in Auftrag gegeben. Aufgrund der vorliegenden Datenlage kann der Bundesrat nicht bestätigen, dass schweizweit etwa 30% der Notfallkonsultationen vermieden werden könnten.
2. Die Vernehmlassung zur Pa.Iv. 17.480 (Weibel) Bäumle «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» dauerte bis am 10. Januar 2025. Diese sieht im Vorschlag der Mehrheit der Kommission vor, dass die Kantone die Kompetenz erhalten, den jährlichen Höchstbetrag des Selbstbehalts bei jeder Konsultation der Spitalnotaufnahme um 50 Franken zu erhöhen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Schwangere und Kinder sowie Personen mit einer Überweisung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin, ein Zentrum für Telemedizin oder einen Apotheker bzw. eine Apothekerin. Die zuständige Kommission wird entscheiden, ob sie das Projekt weiterverfolgt und den Bundesrat zu einer Stellungnahme einladen.
3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass tatsächlich Einsparpotential durch die Verhinderung von unnötigen Besuchen bei leichten Erkrankungen in der Spitalnotaufnahme besteht. Eine Definition von unnötigen Besuchen in der Spitalnotaufnahme bei leichten Erkrankungen gibt es jedoch nicht. Daher kann der Bundesrat auch keine genaue Zahl bestätigen. Wie bereits unter Ziffer 1 ausgeführt, braucht es aber möglicherweise in einzelnen Kantonen eine effizientere Infrastruktur, die Förderung von Präventionsmassnahmen und die bessere Aufklärung der Bevölkerung über die richtige Nutzung des Gesundheitssystems sowie generell sollte auch das Wissen der Bevölkerung über Gesundheitsfragen ausgebaut werden.
4. Der Bundesrat äussert sich nicht zur Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit einer allfälligen Verfassungsänderung zum jetzigen Zeitpunkt. Zuerst muss das Resultat der Vernehmlassung der Pa.Iv. 17.480 (Weibel) Bäumle «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotaufnahme» abgewartet werden.