Im Jahr 2022 verzeichnete die Schweiz gut 24 500 Asylgesuche – eine deutliche Zunahme um über 64 Prozent. Für das Jahr 2023 rechnet der Sonderstab Asyl (SONAS) gar mit bis zu 40 000 neuen Gesuchen. Doch nicht nur die Zahl der Gesuche steigt: Hinzu kommt, dass die Schweiz bereits bei den erstinstanzlichen Entscheiden zu Asylanträgen viel grosszügiger entscheidet als andere Länder.Asylbewerber aus Afghanistan und der Türkei haben in der Schweiz eine Chance von 99 Prozent bzw. 98 Prozent auf einen positiven erstinstanzlichen Entscheid auf ihren Asylantrag. In Deutschland betragen diese Werte 62 Prozent (Afghanistan) bzw. 40 Prozent (Türkei), in Frankreich 75 Prozent (Afghanistan) bzw. 14 Prozent (Türkei) und in Italien 98 Prozent (Afghanistan) bzw. 66 Prozent (Türkei).Ähnlich ist es bei Bewerbern aus Eritrea, Syrien, Somalia und dem Irak. In der Schweiz fallen nahezu alle erstinstanzlichen Entscheide positiv aus: Bei Bewerbern aus Eritrea erhalten 98 Prozent, aus Syrien 87 Prozent, aus Somalia 92 Prozent und aus dem Irak 81 Prozent einen positiven erstinstanzlichen Entscheid. In Deutschland und Frankreich sind die Werte durchgehend tiefer. Sie betragen für Bewerber aus Eritrea 88 Prozent bzw. 69 Prozent, aus Syrien 65 Prozent bzw. 73 Prozent, aus Somalia 68 Prozent bzw. 32 Prozent und aus dem Irak 38 Prozent bzw. 41 Prozent. Einzig Italien verzeichnet etwas höhere Werte (80 Prozent, 91 Prozent, 98 Prozent und 87%).Vor diesem Hintergrund bitten wir den Bundesrat um Beantwortung folgender Fragen:- Sind dem Bundesrat diese Zahlen bekannt?- Wie erklärt sich der Bundesrat die massiv höhere Quote positiver erstinstanzlicher Entscheide in der Schweiz?- Teilt der Bundesrat die Ansicht, dass diese Quoten bei einer kritischeren Prüfung der Gesuche deutlich gesenkt werden könnten?- Wie wird die Bewilligungspraxis der zuständigen Bundesbehörden evaluiert? Werden die deutlich unterschiedlichen Werte in unseren Nachbarländern departementsintern diskutiert?
Antwort des Bundesrates:
1. Die zitierten Zahlen sind dem Bundesrat in dieser Form nicht bekannt. Der Bundesrat stützt sich beim Vergleich der Schweizer Entscheide mit jenen aus anderen europäischen Staaten auf die Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) und die Daten der European Union Agency for Asylum (EUAA). Die folgende Aufstellung zeigt auf dieser Datenbasis eine Übersicht der erstinstanzlichen Gesamtschutzquote, welche die vom Interpellanten genannten Länder für das Jahr 2022 gemeldet haben. Unter die Gesamtschutzquote fallen alle Personen, denen Asyl oder ein anderer Schutzstatus (Zahlen der Schweiz inkl. vorläufige Aufnahme, aber ohne Status-S) gewährt wurde.AfghanistanEritreaIrakSomaliaSyrienTürkeiDeutschland96 %88 %27 %69 %96 %34 %Frankreich68 %71 %44 %38 %80 %14 %Italien100 %100 %92 %100 %99 %46 %Schweiz73 %85 %36 %66 %85 %76 %Europa insgesamt86 %86 %36 %62 %95 %43 %Quelle: EUAA und Statistiken SEM2. Diese Daten zeigen nur für Asylsuchende aus der Türkei eine im europäischen Vergleich deutlich höhere Schutzquote. Als Grund vermutet das SEM etwa die unterschiedliche Zusammensetzung der Gesuchprofile der Asylsuchenden. So ist aus Gesprächen mit den Nachbarländern beispielsweise bekannt, dass sich in der Schweiz unter den Asylsuchenden aus der Türkei ein höherer Anteil an Personen kurdischer Ethnie befindet. Weitere Unterschiede ergeben sich aus unterschiedlichen Definitionen und Zählweisen der einzelnen Staaten respektive der Organisationen, welche die Daten aufbereiten. Auch der Anteil an Asylsuchenden, die gestützt auf ein Dublin-Verfahren in einen anderen Staat weggewiesen werden, beeinflusst die Schutzquote.3. Nach Ansicht des Bundesrates können die Schutzquoten bei diesen Gesuchen nicht gesenkt werden. Das SEM unterzieht bereits heute jedes Asylgesuch einer sorgfältigen Prüfung auf Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, namentlich des Asylgesetzes (SR 142.31) und der Flüchtlingskonvention (SR 0.142.30).4. Das SEM überprüft seine Asyl- und Wegweisungspraxis regelmässig. Es verfolgt dazu aufmerksam die Veränderungen der Rechtsprechung und der Entwicklungen in den Heimat- und Herkunftsländern. Zudem finden Austausche mit europäischen Partnerbehörden statt, wobei auch unterschiedliche Schutzquoten thematisiert werden. Die Qualität der Entscheide wird unter anderem anhand verschiedener Kennwerte aus der quartalsweise publizierten Asylstatistik zur Entscheidbestätigkeitsquote kontrolliert. Auch führt das SEM punktuell interne Qualitätsaudits durch. Im Jahr 2019 hat das SEM eine umfassende externe Evaluation der Prozess- und Entscheidqualität durchführen lassen. Antwort des Bundesrates.